4.1 Schmerzwahrnehmung und -Verarbeitung
Übersicht der Verarbeitung von Schmerzreizen (modifiziert nach Zimmermann)
Das erste Rechenzentrum, in dem alle Informationen aus Mechano-, Thermo- und Propriorezeptoren zusammenlaufen, liegt im Hinterhorn und entscheidet, ob die eintreffende Reizintensität an höhergelegene Rechenzentren weitergegeben wird.
Bei zunehmender Reizintensität steigt die Frequenz der Aktions-Potentiale der Nozizeptoren linear zur Intensität, bis ein gewisser Schmerzschwellenwert überschritten worden ist und über afferente C-Fasern Hinterhornneurone aktiviert werden. Es kommt über die zuvor beschriebene Reizsummation zur Zuschaltung spinaler Mechanismen. Wichtig ist, daß Dauerreize (z. B. pathologische Veränderungen des Bewegungsapparates) vorerregte Bahnen bevorzugen. In erregten Synapsengebieten klingen Reize langsamer ab (Dauerschmerz).
Die Schmerzwahrnehmung läuft nach folgendem Schema ab: Werden Schmerzen registriert, wird der Erstschmerz — von hellem, scharfem oder schneidendem Charakter — über A-Delta-Fasern vermittelt. Der dumpfe, schlecht lokalisierbare Zweitschmerz wird über marklose und langsamleitende C-Fasern fortgeleitet. Hier liegen Ansatzpunkte für eine interessante Therapie.
Im Zentralnervensystem werden die aufsteigenden Informationen über das zweite Neuron im Hinterhorn weitergeleitet, dann über den Vorderseitenstrang der Gegenseite umgeschaltet und erreichen das Stammhirn. Hier erfolgt eine erneute Umschaltung auf höherliegende kortikale Zentren zur Differenzierung des lokalen Schmerzgeschehens.
In diesen kortikalen Arealen werden weitere situationsgebundene Informationen aus psychischen Rezeptorquellen mitverarbeitet, und die Kortexprojektion der eigentlichen Schmerzdimension entsteht.
Unter klinischen Gesichtspunkten entsteht folgende Situation:
Schmerzen des Bewegungsapparates bedeuten einen Circulus vitiosus, derin über eine direkte Schaltung zu den Motoneuronen entsteht über die Nozizeption eine Tonuserhöhung im zugehörigen Segment. Entgleist die Rückkopplung im Gamma-System, resultiert eine weitere Tonuserhöhung mit dem Endeffekt eines Hartspannes und als pathologisches Endergebnis Strukturschäden der Muskulatur.
Durch eine Multisegmentschaltung werden benachbarte Myotome miteinbezogen, und es entsteht eine Generalisierung der Grundsymptomatik.
Gemäß diesem Pathomechanismus entstehen sogenannte "Triggerpunkte" innerhalb gestörter Muskel- und Sehnenanteile.
Muskulofasziale Triggerpunkte sind druckempfindliche Irritationsstellen (z. B. im Einzelmuskel) und weisen definierbare Ausstrahlungszonen auf. Führende Autoren (Travel und Simons) unterscheiden latente und aktive Triggerpunkte.
Aktive Triggerpunkte schmerzen bereits bei normalen — physiologischen — Bewegungsabläufen, während latente Triggerpunkte bei Punktreizung (Druck oder Nadelstiche) aktiviert werden. Für ein kausales Therapieverständnis ist deshalb folgende Kenntnis wichtig: Triggerpunkte haben ein Autonomiebestreben. Selbst wenn der primäre Schmerzverursacher ausgeschaltet wird, können Triggerpunkte schmerzperpetuierend wirken.